LIVE BRITS II: SUPERINTIMACY
01. bis 05. Juli 2008
(alle Veranstaltungen in engl. Sprache)

Der Geheimtipp des letzten Live Brits Festival (Januar 2005) war die Lecture Performance von Franko B. Er berichtete von seinen „Bleeding“-Performances, bei denen er auf einem weiß ausgeschlagenen Catwalk auf und ab geht und seine blutigen Spuren hinterlässt. Immer wieder stellt er seinen tätowierten Körper aus und arbeitet daran, die Grenze von Realität und Kunst zu überspringen. Er malträtiert seinen eigenen Körper bis an die Grenze dessen, was ein Körper verkraftet, und spielt ähnlich mit den Wahrnehmungen der Zuschauer. In diesem Jahr gibt Franko B. so etwas wie ein Emblem des Festivals ab. In zwei Versionen zeigt er seine Produktion „Don’t leave me this way“. Darin arbeitet er mit seinem nackten Körper und dem Moment der Blendung. Zu ihrem eigentlichen Charakter kommt die Performance in der kurzen Version mit nur einem Zuschauer. Auf bestimmte Art und Weise wird das Theater aufgekündigt und schlägt plötzlich in eine erotische Situation um.

In den letzten Jahren waren einige Produktionen von Tim Etchells im HAU zu sehen: „Marathon Lexicon“ und „That Night Follows Day“, seine Inszenierung mit Kindern für Victoria/Gent. Mit seinen Arbeiten hat er in Deutschland im wesentlichen das Bild von Live Art geprägt. Auch die Arbeit von Gob Squad lässt sich nicht ohne den Einfluss von Forced Entertainment denken. Die Gruppe besteht seit 20 Jahren und geht mit ihrer neuen Produktion „Spectacular“ zurück zu ihren Anfängen. Zwei Performer sind für zwei Stunden mit den Zuschauern eingeschlossen, bilden eine Gemeinschaft. Was geht gerade draußen vor, welche Katastrophen erschüttern die Welt, könnten sie erschüttern? Eine verdrehte Liebesgeschichte, Elemente eines bizarren Kabaretts, ein Vortrag über Tragödien, skurrile Tänze und Vorhersagen für die Zukunft. “Spectacular“ versucht die Beziehung zwischen dem Innen und Außen zu finden. Sie reduziert also die Live Art noch einmal auf ihren Kern. Im HAU ist es die erste Produktion von Forced Entertainment; in der nächsten Saison werden wir mit „And on the Thousandth Night“ und „Exquisite Pain“ nachlegen und die Gruppe zu einem wesentlichen Bestandteil des HAU-Programms machen.

Die neue Produktion von Lone Twin Theatre„Daniel Hit by a Train“ ist Teil einer Trilogie zum Thema Biografie. Der erste Teil „Alice Bell“ war bereits in den Sophiensaelen zu sehen. Der zweite Tei konzentriert sich auf einen kleinen, aber ausschlaggebenden Ausschnitt aus dem Leben ihres Protagonisten und schafft eine Erzählstruktur durch die permanente Widerholung dieses Moments. Gregg Whelan und Gary Winters kommen aus der Bildenden Kunst-Szene. Das Material für ihre neue Arbeit bildet das „Watts Memorial of Heroic Deeds“, dort sind 53 gute Taten festgehalten: von Thomas Simpson, der an Erschöpfung starb, nachdem er viele aus brechendem Eis gerettet hatte, bis zu dem Wim Wenders-Film „ Der Himmel über Berlin“. Im Fall des Londoner Denkmals versuchen sie sich über die Dinge, ihre Sterblichkeit und ihre Geister klar zu werden. Wir freuen uns dabei auf die unvorhersehbaren Überraschungen. In einer ersten Aktion für das Brüsseler Kunstenfestival eroberten sie sich mit zwei Falträdern Brüssel und berichteten jeweils davon am Abend.

Quarantine kommen gleich mit zwei Produktionen ins HAU: „Susan and Darren“ erzählt die Geschichte eines Tanzlehrers und seiner Mutter, die als Putzfrau arbeitet. Die beiden bereiten eine Party fürs Publikum vor und erzählen mit starkem nordenglischem Akzent aus ihrem Leben. Parallel dazu zeigen wir eine achtminütige Installation „Something a Taxi Driver in Liverpool Said“. Robin Deacon präsentiert sein Projekt „Whatever happened to Colin Powell?“, das er auf Barack Obama weiterspinnt und in dem er über den „Bounty-Effekt“ („außen schwarz und innen weiß“) redet. Rajni Shah berichtet über „Diversity“ in ihren Theaterprojekten. Sie ist indischstämmige Britin und gilt als jüngster Geheimtipp der Londoner Szene.

Als Thematik eines Theaterfestivals „Intimtät“ zu behaupten, entbehrt nicht der Absurdität. Theater stellt auf einer Bühne etwas dar, was vor einer unbekannten Gruppe von Zuschauern gezeigt wird. Von Intimität spricht man, wenn zwei Menschen sich körperliche oder emotionale Nähe zeigen. Hier stellt Franko B. schon in der Begegnung eines einzelnen Darstellers und eines Zuschauers die Verhältnisse auf den Kopf. Die Beziehung zwischen Bühne und Zuschauerraum schlägt in eine von gleich zu gleich um. Man ist nicht mehr sicher, ob sie nicht sogar in eine erotische übergeht. Einen ähnlichen Ansatz hat die „Taxi Driver“-Installation von Qurantine. Das Theater der letzten Jahre spielt oft mit „Face to Face Situations“. Was deren Reiz ist, lässt sich schwer sagen. In einer immer medialer werdenden Gesellschaft, wird auch die Bühne ideologiekritisch betrachtet. Aber man weiß trotzdem nicht, ob die intime Situation wirklich mehr Glaubwürdigkeit impliziert – vielleicht zerstört sie auch nur die letzte Illusion davon.


Live Brits II wird unterstützt vom British Council. Medienpartner: Tip Berlin

Booklet_LiveBritsII.pdf