DONG XUAN FESTIVAL - VIETNAMESEN IN BERLIN
21. bis 27. November

Vietnamesen stellen die größte Gruppe von Asylbewerbern in Berlin und sind in der Stadt mittlerweile beliebt und gleichzeitig oft fast unsichtbar. Sie teilen sich in zwei sehr unterschiedliche Gruppen: die Ostberliner Vertragsarbeiter, die kurz vor der Wende kamen, und die nach Westberlin eingewanderten Boat People. Aufgrund ihrer Herkunft scheinen sie manchmal die deutsch-deutschen Befindlichkeiten zu spiegeln.

Der bildende Künstler Danh Vo wird die Festival-Plakate handschriftlich von seinem Vater und anderen Vietnamesen anfertigen lassen. Danhs Eltern kamen als Boat People nach Kopenhagen und finanzierten sich ihr Leben mit dem Braten von Hamburgern. Dagegen setzt die Kunst der Kalligraphie einen anderen Arbeitsbegriff und stellt implizit die Frage nach dem Wert von Arbeit. Unter dem Titel „2.2.1861“ schafft Danh Vo mit der Performance "Last letter of Saint Theophane Venard to his father before he was decapitated copied by Phung Vo" sowie dem Talk mit Dominic Eichler den Rahmen des Festivals.

Zentrales Projekt des Festivals ist „Dong Xuan oder Frühling in Lichtenberg“. Zwei Touren mit mehreren Stationen führen über die Herzbergstaße und die vietnamesischen Markthallen des Dong Xuan Centers. Tour A wird sich stärker auf die Hallen selbst konzentrieren. Tour B wird auch die umliegenden Plattenbauten einbeziehen und das Umfeld der Hallen in der einstmals hoch industrialisierten Straße. Interessant an dem Marktgelände ist auch, dass sich eine Symbiose aus den Bewohnern Lichtenbergs, darunter vielen Rentnern, und den Händlern ergeben hat, die eine Atmosphäre schaffen, als wäre man in den Hanoier Hallen gleichen Namens.

„Aus den Ruinen der größten Elektrokohlefabrik der DDR blühen die Markthallen Dong Xuan: Blühende Frühlingswiese - eine Reminiszenz an die gleichnamigen Hallen in Hanoi, dort im ehemaligen französischem Kolonialbau, hier in langgestreckten Messehallen der asiatische Großmarkt Berlins. Hier decken sich Händler mit zarten Kunstblumen und pinkneonfarbener Unterwäsche, asiatischen Lebensmitteln, blinkender Weihnachtsdeko, Chinalampen und Nagelstudio-Grundbedarf ein. Massagesalons und Friseurläden fürs komplette Shoppingerlebnis – auch sehr beliebt bei den Freunden des Kahlschnitts mit Ornament. Die vietnamesische Gemeinde der ehemaligen Vertragsarbeiter kommuniziert, arbeitet - und feiert hier. In der ewigen Tristesse der Platten von Lichtenberg ein Abstecher nach Ganzwoanders. Während sich der längst stillgelegte Backofen des Arbeitshelden Hans Garbes, verewigt als „Lohndrücker“, im Abbau befindet, sind die Hallen voll mit den Erzeugnissen der Billigproduzenten Asiens und Arabiens. Die Hinterbühne der vietnamesischen Händler, Betreiber der ehemals süßsauerchinesisch - jetzt panasian Lifestyleküchen, der Kioskbesitzer, Blumenhändler und der Kindergeneration der binationalen Schüler und Abiturienten versammelt Biografien der Diaspora und des Ankommens im Hinterland des Kapitalismus. Auf dem Schürfgelände deutscher Industriegeschichte, den sich schließenden Brachen der DDR blühende Shoppingmalls einer Globalisierung, deren Arbeits-Fleiß und Handelskette hier im Detail zu finden ist. Was mach ich als Panda unter den Kühen, fragt sich Baly in Halle 1. Eine Annäherung. Ein Stationendrama zwischen Messeständen, ideologischen Kämpfen, Grenzgängern, der freien Internetplattform „Talawas“, dem tödlichen Scherengriff des vietnamesischem Kung Fu und der köstlichen Pho Bo Suppe danach.“ (Gesine Danckwart, Kuratorin von „Dong Xuan oder Frühling in Lichtenberg“)

Touren mit Arbeiten von Phil Collins, Gesine Danckwart, Barbara Ehnes, Baly Nguyen, Nguyen Tan Hoang, Truong Ngu, Pham Thi Hoai, Rimini Protokoll, Susanne Sachsse/Marc Siegel u.a.

Mit freundlicher Unterstützung der Dong Xuan GmbH.


Ea Sola bezieht sich in „The White Body“ auf eine Schrift von La Boétie „Diskurs über die freiwillige Sklaverei“ aus dem Jahr 1530. Von Ho Tschi Minh-Stadt aus appelliert sie an die Europäer, nicht den sozialen Fortschritt über Bord zu werfen. „Ich möchte lediglich verstehen, wie es passieren kann, dass so viele Menschen, so viele Dörfer, so viele Städte, so viele Nationen, manchmal unter einem einzigen Tyrannen leiden, der keine andere Macht besitzt, als die, welche sie ihm geben.“ (La Boétie ). „Ihre jungen vietnamesischen Tänzer skizzieren die Frage nach dem Wert des Individuums als Schemen, hinter einer Plastikplane. Sie spielen Fashion Victims im Konsumrausch. In furiosen Szenen werden ihre Bewegungen hektisch, repetitiv und mechanisch, sie wirken ihrer eigenen Rebellion völlig entfremdet.“ (Thomas Hahn)
Die französisch-vietnamesische Choreografin Ea Sola setzt sich mit dem Aufeinandertreffen von traditioneller Gesellschaftsform und einem kapitalistisch eingefärbten Kommunismus auseinander. In den 90er Jahren gastierte sie mit großem Erfolg mit „Sécheresse et pluie“ im Hebbel-Theater.

Company Ea Sola in Koproduktion mit Théatre de la Ville Paris, Hong Kong Arts Festival, Holland Festival, Auckland Festival und Grand Theatre Groningen. Mit freundlicher Unterstützung des Goethe-Instituts (Logo).

Die zwei von Marc Siegel ausgewählten Filmabende werfen ihren Blick auf vietnamesisch-amerikanische avantgarde Dokumentar- und Kurzfilme. Das Programm wird von der nur selten in Berlin anzutreffenden Filmemacherin und Vertreterin der postkolonialen, feministischen Theorie Trinh T. Minh-ha eröffnet. Gezeigt wird ihr zum Klassiker avancierter Dokumentarfilm über vietnamesische Frauen: SURNAME VIET GIVEN NAME NAM (1989).
Vor dem Hintergrund der Kritik Trinhs an einem westlich anthropologischen Blick setzen sich die beiden Filmemacher jüngerer Generation Tran T. Kim-Trang (THE BLINDESS SERIES; 1992-2006) und Nguyen Tan Hoang (PIRATED! u.a.; 1995-2000) mit Themen von Blindheit, Wahrnehmung, Identität, Gender und Sexualität auseinander.
Die Filmemacher/innen sind anwesend und diskutieren im Anschluss an die Präsentation ihrer Filme.

Vietnamesische Diaspora and Beyond. Diskursprogramm kuratiert von Kien Nghi Ha
„Während die dominanten Integrationsdebatten immer noch nationalkulturell geprägt sind und oftmals kaum über rassistische Plattitüden hinauskommen, vollzieht sich in der sozialen Realität ein fundamentaler gesellschaftlicher Wandel. Am Beispiel der vietnamesischen Migration, die gerade in Berlin stark präsent ist, lässt sich aufzeigen, dass das Leben in der Diaspora vielgestaltige Formen annimmt und dieser Prozess von der Perspektive der migrantischen Subjekte zu denken ist. Mit diesem Perspektivwechsel vollzieht sich auch eine Verschiebung der gewohnten Wahrnehmungsmuster und der damit verbundenen Inhalte. In dem die Nation von ihren Rändern aus neu gedacht wird, wird es möglich, bisher vernachlässigte Fragen aufzuwerfen und marginalisierte Räume in den Fokus zu nehmen.
Zu dieser Revision gehört es nicht nur essentialistische Identitätskonstruktionen und das homogenisierende Kulturverständnis zu überprüfen, sondern auch den Begriff „Diaspora“ einer zeitgenössischen Bedeutung zuzuführen. Darin wird Migration nicht länger als ein zu bewältigendes Problem begriffen, sondern die Diaspora als eine kosmopolitische Form der Vergesellschaftung diskutiert, die Berlin mit Vietnam, Orange County (USA) und anderen diasporischen Orten vernetzt. Das Zuhause-Sein zwischen hybriden Kulturen, politischen Grenzen und konstruierten Nationen, das transnationale Verbundenheit ermöglicht und Forderungen nach „cultural citizenship“ provoziert, stellt die tatsächliche Zukunftsaufgabe der Migrationsgesellschaft dar. Solche komplex zusammengesetzten Identitäten in diasporischen Communities reflektieren unterschiedliche geschichtliche Erfahrungen mit Exil, genderspezifischer Ausbeutung und Rassismus, die einerseits kulturell verarbeitet werden und andererseits eine gesellschaftspolitische Dimension in sich tragen. Dabei geht es keinesfalls um Defizit-Kompensationen und Integrationsleistungen, sondern um gleiche Rechte und demokratische Ansprüche. Diese universellen Kategorien deuten gleichzeitig auf die Notwendigkeit hin nicht in die „Ethno-Falle“ zu tappen, sondern die Diskussion über anti-asiatische Rassifizierung und Exotismen für andere Erfahrungen zu öffnen und grenzüberschreitende Solidaritätsformen zu suchen.“ (Kien Nghi Ha)

Mit Trinh T. Minh-ha (Berkeley), Ruth Mayer (Hannover), Pham Thi Hoai (Berlin), Iman Attia (Berlin), Thuy Nonnemann (Berlin), Nivedita Prasad (Berlin/Wien), Toan Nguyen (Berlin), Sun-Ju Choi (Bonn/Seoul) u.a.


Das Diskursprogramm findet statt in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Geschichte und Gesellschaft Südostasiens, Humboldt Universität zu Berlin.

Das Festival wird gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds, präsentiert vom tip

HAU_Programm_DongXuan.pdf