SEBASTIAN BAUMGARTEN UND ANSELM FRANKE – WAGNER-HÖRSCHULE
10., 11., 13., und 15. Juni 2006 / 19.30 Uhr / HAU 1

Während draußen die Fußballweltmeisterschaft tobt, räumen Sebastian Baumgarten, Anselm Franke und Kollegen das HAU 1 leer und laden bei Essen und Trinken zur Wagner-Hörschule ein. An festlicher Tafel Wagner hören und Wagner debattieren - zu diesem Format inspirierte uns u.a. Friedrich Kittlers Aufsatz zur Geburt des Eros und des Wissens aus dem Buch "Vom Griechenland". Kittler versteht darin die Debatte als Form öffentlichen Denkens und beschreibt sie als Mangel an Liebesfähigkeit, als Fortsetzung des antiken Rausches. Das interessiert uns an diesem Abend auch an Wagner: der Rausch und die Techniken der totalen atmosphärischen Überwältigung, wie sie unter anderem im Konzept des Gesamtkunstwerks artikuliert werden.

Die Idee des Gesamtkunstwerks findet jedoch an diesen Abenden zunächst eine profan-weltliche Umsetzung: Ein thematisches Essen, Met-Trinken, Musik und Unterhaltung für 100 Gäste rahmen den Abend, an dem wir unsere Gäste an einer großen Tafel zu einem gemeinsamen Weg in Wagners Welt der Affekte, Motive und Gesten bitten. Zwischen den Gängen und während des Essens werden Kurzvorträge, hochkarätige musikalische Darbietungen (Roman Trekel Staatsoper Berlin), exklusive gigs von Größen der elektro-akkustischen Musikszene (Rechenzentrum, Hauschka und mapstation) szenische Miniaturen und Filmausschnitte die Tischdebatte animieren. Die suggerierte große Einheit der Wagnerschen Werke wird analytisch in ihre Bausteine und -prinzipien zerlegt und experimentell neu assoziiert. Diese lehren uns, wie man sich dem Rausch hingibt und ihn gleichzeitig versteht.

Denn darin ist Wagner hochaktuell: als Künstler des Affekts und der Intensivierung, gleichsam als erhebender Masseur niedergeschlagener Nerven, als suggestiver Hypnotiseur, als Mobilmacher der Gesten, der vollständigen ästhetischen Vereinnahmung. Friedrich Nietzsche hat in seinem berühmten Aufsatz zu Wagner gesagt, am Anfang stehe bei ihm die Halluzination, nicht jedoch von Tönen, sondern von Gebärden: Wagner hat das Kino vorausgedacht und herbeigeträumt. Mit diesem Traum werden wir auf die Reise in die Musik und Bilderwelt Wagners und seiner direkten und indirekten Nachfahren gehen.

An den Abenden teilnehmen werden u.a. Friedrich Kittler (10.6.), Robert und Ronald Lippok von to rococo rot (Sound-Installation), Stefan Schneider (mapstation), der Philosoph Dieter Thomä (10.,11.6.), der u.a. zur Aufführung der "Walküre" in der Regie von Sergeij Eisenstein in Moskau 1940 geforscht hat, Roman Trekel (Staatsoper Berlin), Alexander Marco-Buhrmester (am 11.06.06), Ludger Schwarte (Professor für Philosophie, 15.06.06), Hans-Jürgen Osmers (13.06.06), Nicolas Siepen (13.06.06) sowie Gerd Rienäcker (10./11./15.6.), der Wagners Leitmotivik in einer Hörschule entschlüsselt. Musikalischer Ausgangs- und Bezugspunkt der Abende ist der "Tannhäuser", der schon 2004 in Sebastian Baumgartens Lars von Trier-Adaption "Epidemic" im HAU 1 die Folie der Auseinandersetzung war, die nun ihre Fortsetzung in der Suche nach einem Gründungsmythos des elektronischen Zeitalters sucht. Jeder Abend wird mit einem Konzert enden, das sich konzeptionell dem Wagner-Thema widmet. Elektronische Musiker entwickeln audiovisuelle Konzepte dazu, in denen sie sich von den Sounds von Wagner beeinflussen lassen. Am 10.6 gibt RECHENZENTRUM (Marc Weiser und Lillevan) einen knisternd-raumerobernden elektro-visuellen Kommentar zu Wagner. Am 11.6. spielt Andrew Pekler dunkle cool klingende Jazznotes mit elektronischen Dubs zu D.W. Griffith Stummfilm „The birth of a Nation“, am 15.6. präsentieren HAUSCHKA und MAPSTATION ihren eigentümlich organischen Klang am präparierten Klavier, gesampelt und geloopt und schließen die Lücke zwischen Kammermusik und Elektronik. Den Abend am 13.06.06 schließt Roman Trekel mit Wagners „Wesendonck“-Liedzyklus.

Die Wagner-Hörschule wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes