Eher wie ein Architekt


Ein Gespräch mit Heiner Goebbels (Heft 9)

Interessiert Dich die Oper?

Es gibt nur eine Oper, die ich wirklich mit Interesse und wahrscheinlich schon in zehn verschiedenen Aufführungen gesehen habe, das ist "Wozeck". Sonst interessiert mich Oper eigentlich nicht.

Nun existiert aber vielleicht doch ein Verhältnis zwischen dem, was Du machst, und dem, was an Opernhäusern passiert unter Musiktheater wird ja zu 90 Prozent Oper verstanden.

Ich glaube, mein Terrain ist eher die Lücke, die zwischen Oper und Theater klafft. Mich interessiert der Gesang weniger als das gesprochene Wort, und da interessiert es mich, zu einer engen Verzahnung von Musik und gesprochenem Wort zu kommen, was im Theater in der Regel nicht geschieht und in der Oper nur dann, wenn sie den Text in Gesang auflöst. Mich interessiert dieser Zwischenbereich.

Gesungene Dialoge sind für Dich nicht von Interesse? Was ändert sich, wenn etwas gesungen wird und nicht gesprochen?

Vielleicht ist es der Realismus der Mitteilung, der verlorengeht. Hinzu kommt, daß ich da zur Zeit weniger Neuland entdecken kann. Die letzten vier neuen Opern, die ich gesehen habe, waren voller FrauenTerzette, und dem kann ich nach dem Terzett in "Die Soldaten" von Zimmermann zur Zeit nicht jeweils noch eine neue Schattierung abgewinnen. Ich glaube, das Problem ist, daß die Liebe zur Oper immer ein sehr internes Verhältnis zu ihr voraussetzt. Sonst stellt man sich schon nach dem zweiten Satz die Frage: Muß der auch gesungen sein, oder reicht es, wenn der erste gesungen ist. Trotz der Differenzierung bei den vier Komponisten, deren FrauenTerzette ich im letzten Jahr gehört habe so unterschiedlich die sich in ihrer Ästhetik vielleicht selbst begreifen wollen und auch wahrgenommen werden für mich bleibt es einfach ein FrauenTerzett, von professionell ausgebildeten Sopranistinnen gesungen, und da fehlen mir viele andere Ausdrucksmöglichkeiten: von unausgebildeten Stimmen, vom Wechselverhältnis zur Sprache, von überhaupt anderen Stimmqualitäten als denen des akademischen Gesangs. Meine Wahrnehmung des Musikalischen ist viel breiter, geht von der Alltagsmusik bis zur Oper. Und auch beim Gesang sind für mich alle anderen Arten zu singen mindestens genauso interessant möglicherweise sogar interessanter als der akademische, z.B. die ethnischen, wie ich sie in meinen letzten Stücken mit Sira Djebate und Areti Georgiadou hatte, oder die experimentellen Formen zu singen, wie sie David Moss oder Cathrine Jauniaux repräsentieren, weil sie in andere Extreme des Ausdrucks vordringen. Dafür ist der Opernapparat zu festgefahren. Ich hatte mehrmals Aufträge von Opernhäusern, die aber an die Bedingung geknüpft waren, mit den Sängern zu arbeiten, und das interessiert mich zur Zeit nicht.

Mit "Surrogate Cities" Deiner ersten großen Komposition für ein SymphonieOrchester, hast Du Dich auf die konventionelle Form eines Orchesters eingelassen, aber wenn ich Dich richtig verstehe, siehst Du weniger Möglichkeiten, das auch in einem OpernZusammenhang zu tun.

"Surrogate Cities" war deswegen möglich, weil ich mit dem Orchester der Jungen Deutschen Philharmonie und dem Dirigenten Peter Rundel von vornherein einen sehr flexiblen, motivierten und interessierten Orchesterapparat vor mir hatte, der es mir möglich gemacht hat, noch bei den letzten Proben Sachen zu verändern, und so den ganzen Arbeitsprozeß in die Nähe dessen gebracht hat, was ich gewohnt bin: das heißt, daß ich mit den Darstellern selber was erfinde, und nicht nur das realisiere, was ich mir vorher schon ausdenke, was bei einem Opernorchester natürlich der Fall sein müßte.

Trotzdem gibt es auch Opernmaterial in Deinen Stücken, also doch ein Interesse an einem solchen Material?

Ja. Wenn eine Balance zwischen dem Opernmaterial und einem ganz anderen Material gehalten wird. Mich interessiert es, daß in einer Ästhetik, die meiner musikalischen Wahrnehmung liegt, auch Opernteile sprechen, aber nicht, daß sie sozusagen in sich selbst zirkulieren.

Du benutzt sehr viel fremdes Material, Material, das Du vorfindest das hat ja auch mit dem Instrumentarium, das Du verwendest, viel zu tun und da stellt sich die Frage der Identität dieses Materials, welche Rolle sie für Dich spielt, oder wie sie sich verändert, und was Du als Deine eigene Arbeit daran definierst.

Es ist oft so, daß ich das Fremdmaterial, sei es die afrikanische Musik in "Ou bien le debarquement desastreux" oder Heavy Metal in "Wolokolamsker Chaussee" nur strukturell bearbeite und sie in ihrer Identität eigentlich gar nicht antasten will. Die Transparenz der Widersprüche zwischen verschiedenen Stilen ist mir sehr wichtig. Ich will sie nicht amalgamieren, sondern sie eher aufeinanderstoßen lassen, anstatt aus ihnen etwas Neues entstehen zu lassen, das nicht die Kraft der unabhängigen Einzelteile hat. Das heißt, ich hoffe natürlich schon, daß etwas Neues dabei entsteht, in dem aber sozusagen jede musikalische Identität nichts einzubüßen hat.

Es gibt in Deinen Stücken Teile, die nur noch als ein Sample vorkommen, wenn beispielsweise ein Takt soundsolange immer wiederholt wird, auf unterschiedlicher Tonhöhe oder in unterschiedlicher Geschwindigkeit, der ja dann seine Identität weitestgehend verloren hat, oder nur noch dient. Wo liegt da der Übergang?

Ich bleibe in der Auswahl des Materials, in der Ökonomie der fremden Stoffe, sehr eng, um ein Kriterium zu haben, damit ich mich nicht beliebig überall bediene. Das führt dazu, daß ich auch kleine Partikel benutze, die nicht mehr erkennbar sind als Zitat. Trotzdem haben sie aber noch etwas Zusammenhangstiftendes. Wenn wir zum Beispiel jetzt an der "Wiederholung" arbeiten, ist für mich das Kriterium: ich benutze nur Samples von Prince. Das ist ein Mittel, mein Material einzuengen.
Was meine Arbeitsweise insgesamt betrifft kann man sagen, daß ich als Regisseur eher komponiere und als Komponist eher inszeniere, also versuche, mit musikalischen Kriterien ein Stück zu bauen, und im kompositorischen Detail wie ein Regisseur zu arbeiten. Ich nehme mich zurück und gewährleiste mit Respekt für die benutzten Einzelteile deren Identität, damit die sich entfalten können.

Zu der Doppelfunktion Regisseur und Komponist gehört ja auch das Verhältnis zum Bühnenbild oder die Rolle des Lichts für den Gesamtzusammenhang. Musiktheater wird ja meistens als ein Bereich gesehen, in dem viele verschiedene Disziplinen zusammenkommen in einem Gesamtkunstwerk. Auf der anderen Seite gibt es gerade auch in der neueren Produktion Versuche, die einzelnen Bereiche bewußt voneinander zu trennen. Welche Rolle spielt dieses Verhältnis für Dich?

Im Grunde gilt dafür das gleiche, was auch für die Musik gilt. Mich interessiert, daß ein Raum seine eigenen Gesetzmäßigkeiten entfaltet und sich nie nur illustrativ verhält. Das heißt, man versucht, mit allen szenischen Mitteln dazu gehören Licht, Raum, Text, Geräusch, Musik, Aktion eine Balance zu schaffen, in der alle Einzelteile ihre Kräfte behalten. Und dadurch schafft man eigentlich etwas, was das Gegenteil vom Gesamtkunstwerk ist: also eher eine Möglichkeit der Erfahrung dann ein Produkt. Mir geht es darum, eine Vielstimmigkeit dieser Mittel zu offerieren, die im Publikum wieder zu einem Gesamteindruck, zu einer Erfahrung summiert werden kann, und die nicht der "starken Hand" des Bühnenmachers bzw. seiner Ästhetik unterworfen ist, sondern die sich eben so komplex zusammensetzt wie Erfahrung. Deswegen arbeite ich mit Bühnenbildnern nicht so, daß ich sage: Ich brauche einen bestimmten Raum oder eine bestimmte Kulisse, einen Wald oder einen Fluß, sondern man arbeitet über das gleiche Thema, und dann versucht der, der den Raum macht, eine Erfindung zu machen, auf die man wieder mit der Musik, mit der Szene, mit dem Licht und anderen Mitteln antworten kann.

Das betrifft auch die Sujets. Wie aktuell kann man mit Musiktheater sein, von den Stoffen her, mit den Sujets und Texten. Bei Deinem neuen Stück "Die Wiederholung" ist der Ausgangspunkt ein philosophischer Text Nach welchen Kriterien wählst Du Deine Sujets?

Ich glaube, die Sujetwahl ist fast weniger wichtig - da muß ich mich jetzt vorsichtig ausdrücken als deren Auflösung. Natürlich muß es einen Fokus geben für das Publikum und auch für meine eigene Arbeit, aber der hat oft die Form von Fragen, auf die ich die Antworten nicht haben muß. Mich interessiert eigentlich, wie in einer Versuchsanordnung, diese Fragen weiterzugeben oder eine Möglichkeit zu finden, mit den verschiedensten Sinnen und mit den verschiedensten ästhetischen Mitteln diese Fragen zu entwerfen. Ich interessiere mich weniger für Autoren, die Meinungen schreiben, als für Autoren, die Texte anbieten, an denen man Meinungen entwickelt. Und witzigerweise gibt es dann große Gemeinsamkeiten zwischen Kierkegaard und Kafka. Oder zwischen Kierkegaard und RobbeGrillet oder zwischen Heiner Müller und Joseph Conrad oder William Faulkner. Und diese Autoren interessieren mich mehr als die Geschichtenerzähler.
 
Oder die Geschichten selbst.

Die würden mich schon interessieren. Ich denke, mit dem Musiktheaterstück "Römische Hunde" haben Michael Simon und ich das versucht: eine Geschichte und ihre Aufnahme, ihre Perspektiven nicht aus dem inneren Strang heraus, sondern aus den Facetten der Bilder, die es darüber gibt, zu erzählen, sie wieder zusammenzusetzen wie ein Puzzle. Ich spiele gerne Puzzle, weil es ein Wechselspiel ist von Form und Bild. Man sucht entweder, wenn man ein Stück von einem Auto hat, links unten den gelben Reifen, oder man sucht eine bestimmte Form, die da noch reinpaßt. Und eines geht nicht ohne das andere, um es möglichst schnell und sinnvoll zu bauen. Und beide Vergnügen müßten auch beim Musiktheater mitspielen, wenn man Lust haben soll, das anzuschauen. Wenn man festgelegt wird auf nur eine der beiden Facetten des Puzzlespiels, dann wird es öde. Das gilt sowohl, wenn etwas nur formal ist, als auch, wenn es nur auf der inhaltlichen Ebene funktioniert.
 
Du hast ziemlich viel Theatermusik gemacht, für Inszenierungen anderer Regisseure, wie z B. "Hermannsschlacht" oder "Dantons Tod". Hast Du Dich da eher auf das Komponieren zurückgezogen?
Ich habe mich nicht so sehr auf das Komponieren im Sinne einer Autorenschaft zurückgezogen, sondern es ging zunächst einmal um die Möglichkeiten einer musikalischen Kraft im Umfeld einer Sprechtheater-Inszenierung.

Und die ist sehr limitiert, weil viele Regisseure die Hierarchie eindeutig benennen, indem sie sagen: Das wichtigste ist der inszenierte Text, und dann kommen das Bühnenbild, die Kostüme und das Licht, und dann kommt die Musik noch dazwischen. Das ist letztlich nicht so interessant. Für mich war im Zusammenhang mit dieser Arbeit vor allem von Interesse, Musik auch wie ein Regisseur zu hören. Das ist für einen Musiker eine sehr widersprüchliche und aufregende Erfahrung, weil Regisseure zunächst mal keine Musiker sind, aber oft über die Wirkung von Musik viel besser Auskunft geben können als jemand, der sich innerhalb der Musik bewegt. Es ist öfter vorgekommen, daß jemand sagte: "Das ist ja eine ganz andere Musik als die, die Du gestern eingespielt hast", dabei war nur irgendein Parameter anders. Die Lautstärke vielleicht oder das Tempo oder die Lautsprecher standen woanders oder die Abmischung war eine andere, und das hat das Wirkungsfeld einer Musik so durcheinandergebracht, daß ein NichtMusiker sie bereits nicht mehr als die gleiche erkannt hat. Darauf habe ich zunächst nicht reagiert, sondern gesagt: "Das ist die gleiche Musik wie gestern", was mir aber nichts genützt hat. Denn wenn sie nicht so wirkt wie gestern, dann ist es nicht die gleiche. Das heißt, man lernt plötzlich und das ist vielleicht die wichtigste und entscheidendste Erfahrung in diesem Metier gewesen man lernt tatsächlich, die Wirkung von Musik anders zu begreifen, die Kriterien zu verschieben und nicht so sehr intern, sondern mit dem Abstand des szenischen Zusammenhangs Musik zu hören. Das war für mich eine unglaublich wichtige Erfahrung. Ich kenne viele Regisseure, denen jegliches musikalisches Vokabular abgeht, aber die den Einsatz von Musik so präzise beschreiben und erleben können, daß sich da noch eine andere Kategorie auftut, die man als Musiker eigentlich gar nicht beherrscht. Das habe ich in dieser Zeit sicher gelernt.

Gibt es einen Einfluß von kleineren, experimentelleren Produktionen bzw. von kleineren Institutionen, wie z.B. TAT oder Hebbel-Theater auf die Produktion an den "großen Häusern"?

Ich glaube schon, daß die Innovation nicht in den großen Apparaten stattfindet, und daß die auf einer unglaublichen Ideensuche sind und durchaus auch bei den kleinen Institutionen nachschauen. Beispiel "Newtons Casino": Ein paar Wochen nach der Premiere sang der Countertenor an der Bayerischen Staatsoper München. Michael Simon inszeniert jetzt selbst überall Opern. Ich glaube, das sind schon die Produktionen, die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Dabei habe ich den Eindruck, daß in anderen Ländern oder in anderen Metropolen die Grenzen durchlässiger sind als in Frankfurt, weil die Leute neugieriger sind, während man hier am eigenen Ort festgelegt wird auf einen experimentellen Charakter - wobei mich der nicht in erster Linie interessiert. Mich interessiert, etwas zu erfinden, von dem ich vorher noch nicht weiß, wie ich es machen soll, und deswegen haben die Mitwirkenden einer solchen MusiktheaterProduktion immer einen großen eigenen innovativen Anteil an dem Gesamtprodukt, aber letztlich muß dabei etwas herauskommen, das nicht das Etikett "experimentell" trägt, sondern das durchaus auch einem größeren Publikum als tragfähige Veranstaltung zugemutet werden kann. Mich interessiert nicht, eine Radikalität in der Materialsprache so weit zu treiben, daß die Leute rausgehen. Sondern mich interessiert eigentlich immer auch die Offenheit des Angebotes, das man macht.

Musiktheater ist gesamtgesellschaftlich doch etwas für nur eine Minorität. Was Du machst, sehen noch weniger Leute an. Hat das für Dich eine Bedeutung, wie viele da eigentlich erreicht werden können?

Dadurch, daß meine Musik nicht notwendigermaßen ausschließend ist ich glaube nicht, daß sie elitär oder abgehoben ist oder sich in einer Nische befindet dadurch sehe ich auch im Grunde viel mehr Publikumsperspektiven für das, was ich mache, als sie manchmal de facto schon erreicht sind.
Mich interessiert es nicht, mich auf mein Publikum verlassen zu können. Daß ich mein Terrain in den letzten Jahren so oft gewechselt habe vom Jazz mehr zu Kompositionen, wie z.B. für das Ensemble Modern oder von Ballettmusik zum Hörspiel und zu eigenen MusiktheaterProduktionen hat etwas damit zu tun, daß es mich gelangweilt hat, mein Publikum schon zu kennen. Die größten Herausforderungen und spannendsten Ergebnisse sind oft dann entstanden, wenn ich mit einem neuen Publikum konfrontiert war, wie zum Beispiel mit der Jungen Deutschen Philharmonie bei "Surrogate Cities". Wenn man mit einem Orchester nolens volens in solche Räume muß wie die Alte Oper in Frankfurt am Main oder die Philharmonie in Köln, dann hat man es auch mit einem bestimmten Publikum zu tun.
Bei den Orchesterstücken mit dem Ensemble Modern habe ich dagegen erlebt, daß diese Kammermusikstücke plötzlich, wenn sie in Theatern aufgeführt wurden wie im Hebbel-Theater oder Kaaitheater oder TAT, auch eine theatralische, bildhafte oder eine dramatische, szenische Dimension bekommen, noch mehr, als in der Komposition ohnehin schon angelegt ist. Ich kann mir auch vorstellen, daß man den Begriff des Musiktheaters wesentlich instrumentaler auffaßt, wenn sich das Instrumentale nicht scheut, im weitesten Sinne erzählerisch zu sein.

Was gibt der zunächst einmal rein instrumental entworfenen Musik eine erzählerische Qualität?

Bei mir sicher oft das Zusammenspiel mit dem Sampler, der ja letztlich nichts anderes ist als eine digitalisierte und computerisierte Tonbandzuspielung mit einem besseren Zugriff, die die Möglichkeit beinhaltet, mit dem Klangmaterial konkreter zu verfahren: Geräusche, Textfetzen, andere Musikteile und so weiter zu zitieren oder in einen neuen Klang zu integrieren. Da gibt es in der neuen Musik eine große Hemmschwelle. Ich vermute, 98 Prozent der Komponisten elektronischer Musik arbeiten nicht damit, sondern erfinden ihre Klänge selbst, die sich dann merkwürdigerweise am Schluß alle gleich anhören. Während man, wenn der Sampler mitarbeitet, vollen Zugriff hat auf Realität, auf Geschichte, auf Erzählungen und auf Bilder. Ich habe eigentlich nie etwas ohne Sampler geschrieben. Es gibt die KammermusikStücke, die ich fürs Ensemble Modern geschrieben habe, es gibt "Surrogate Cities" da gibt es allerdings auch Orchesterteile ohne Sampler - aber bei den bildhafteren Stücken hat der Sampler immer eine große Bedeutung.

Es gibt das Klischee: Das ist ja zu den meisten Teilen gar nicht vom Goebbels, das hat er ja alles nur auf dem Sampler. Wie ist das mit der Autorenschaft?

Bei den instrumentalen Stücken gibt es den Einwand eigentlich nicht so oft, aber bei den Musiktheaterstücken. In ihnen plündere ich tatsächlich reihenweise andere Komponisten ohne das zu verbergen. Das liegt daran, daß mein Interessenschwerpunkt am Musiktheater nicht das Erfinden von Musik ist, sondern das Erfinden von Szenen, und daß es von der Arbeit mit Schauspielern, Sängern oder Musikern handelt. Vielleicht ist es auch so, daß ich mich da entscheiden muß, weil ich nicht auf allen Ebenen gleichzeitig immer innovativ oder überhaupt kreativ arbeiten kann. Es ist für mich auch eine Erleichterung zu sagen: Texte erfinde ich überhaupt nicht, weil das Andere besser können, und wenn ich mehr als Regisseur arbeite oder Stücke erfinde, dann bediene ich mich aus dem reichhaltigen Vokabular musikalischer Sprachen mit Opernzitaten oder Zitaten aus der Unterhaltungsmusik oder aus ethnischer Musik und konzentriere mich eher auf die Erfindung des Raums und der Aktion. Das hat auch einen arbeitsteiligen Aspekt. Wenn ich gerade etwas komponiert habe, dann inszeniere ich gerne etwas anderes, und danach komponiere ich wieder was. Ich brauche immer eine Balance zwischen den verschiedenen Metiers.

Ich glaube, ein wichtiges Kennzeichen meiner Arbeit ist, daß mir die geniale Autorenschaft nicht wichtig ist, sondern daß hohe kompositorische Anteile in meinen Musiktheaterstücken gar nicht von mir sind. Im Grunde entsteht die Unterschiedlichkeit meiner Stücke dadurch, daß ich mit unterschiedlichen Ensembles, Bands, Musikern oder Sängern arbeite und ihnen ihr Recht lasse. Aber ich halte es auch für veraltet das ist ein Bild aus dem 19. Jahrhundert zu glauben, man muß alles selbst erfinden, oder etwas muß aus einem heraus. a Das funktioniert bei mir nicht so. Aus mir muß nichts raus, und ich habe den Eindruck, daß ich eher wie ein Architekt arbeite. Ich will wissen: was sind die Materialien, die ich benutzen kann, was ist der Grund für dieses Haus, oder wer wird darin wohnen wollen, was sind die Bedürfnisse, kann ich dafür Räume erstellen. Ich muß auch wissen, was danebensteht, was davorsteht, was danachsteht, muß auch den Auftraggeber kennen, und erst, wenn diese Bedingungen relativ limitiert sind, dann kann ich darauf reagieren.

Das Gespräch führte Stephan Buchberger in Frankfurt am Main am 15. März 1995.